Unter dem Titel „Vertrauen ist gut… – Chinas Social Credit System“ lud das Chinaforum Bayern e.V. am 4. Juni in München und am 5. Juni in Nürnberg zur Diskussion ein. Im Rahmen des Chinaforum Breakfast Clubs beleuchtete Katika Kühnreich, Politikwissenschaftlerin und Sinologin, das neue Social Credit System, das China ab 2020 einführen will.

Wenn Unternehmen in China zukünftig die Gesetze und Vorschriften befolgen, erhalten sie zinsgünstige Kredite und Vorteile bei der Anmietung von Produktions- und Gewerbeflächen. Im Gegenzug drohen bei Fehlverhalten Sanktionen und Strafen. Das gleiche gilt für Privatpersonen. Wenn ab 2020 China sein „digitales gesellschaftliches Bewertungssystem“ (Social Credit System) einführt, bekommen sämtliche dort ansässigen Personen ein Punktekonto, auf dem Daten über ihr Verhalten im virtuellen und realen Leben gesammelt, bewertet und zu einem Punktestand zusammengefasst werden.

In München begrüßte Rita Roider, Leitung Standortmarketing Landeshauptstadt München, die Teilnehmer, in Nürnberg sprach Marco von Dobschütz-Dietl, Amt für internationale Beziehungen Stadt Nürnberg, das Grußwort.

Anschließend leitete Stefan Geiger, Geschäftsführer Chinaforum Bayern e.V., jeweils den Vortrag ein: „Mit dem Social Credit System will der Staat das Vertrauen in der Bevölkerung stärken. Das ist an sich nicht verkehrt: Ein Punktesystem belohnt denjenigen, der seine Rechnungen bezahlt und bestraft denjenigen, der zu schnell fährt. Für die meisten Deutschen ist das System aber ein schlimmeres Szenario als die Dystopie, die George Orwell in seinem Roman ‚1984‘ beschrieben hat.“ Deshalb stelle sich die Frage: Wie verhält es sich denn wirklich?

Eine ausführliche Analyse dazu gab Katika Kühnreich, Politikwissenschaftlerin und Sinologin. „Das Social Credit System ist ein gigantisches Steuerungssystem, das wirtschaftlich und politisch funktioniert“, erklärt die Politologin. Es ist gut vorbereitet und werde ab 2020 eingeführt. Schon jetzt seien „unglaubliche Datenmengen“ gesammelt worden. In zwei Jahren werden alle Messdaten verfügbar sein. Denn Algorithmen, die schnell lernen, können riesige Datensätze, die in Echtzeit zusammenlaufen, bewältigen.

Welche Hintergründe hat die Einführung des neuen Punktesystems? „China hat sich in den vergangenen 30 Jahren enorm verändert. Das hat Gewinner und Verlierer hervorgebracht“, erklärt Kühnreich. Zudem sei die Schere zwischen Arm und Reich aufgegangen. Die chinesische Regierung ist nun bestrebt, Ruhe in der Bevölkerung zu halten. Auch soll das Vertrauen in Partei und politische Führung gestärkt sowie auf eine harmonische Gesellschaft hingearbeitet werden. Der Traum: Mit der Technologie soziale Probleme zu lösen. Dazu würde man sich das Prinzip der „Gamification“ zu eigen machen – ein Begriff, der aus der Computerspielindustrie stammt.

Man spielt mit, bekommt positive Anreize, Erfolgserlebnisse und will sich nicht mehr davon trennen. Übertragen auf das Social Credit System heißt das:

Wer mehr Punkte gesammelt hat, wird im Alltag belohnt. Er kann zum Beispiel am Flughafen schneller einchecken oder sich ein Fahrrad umsonst ausleihen. Das schafft positive Erlebnisse und eine Akzeptanz des Systems. „Diese Art, eingebunden zu werden, macht Menschen Spaß“, sagt Kühnreich.

Kritisch werde es im sozialen Miteinander: Denn Gerechtigkeit ist für jedes Individuum anders. Fehler werden vom System nicht vergessen, Kinder sind betroffen, wenn ihre Eltern sich nicht korrekt verhalten und Freundschaften können zerbrechen, weil eine schlechte Wertung des Freundes auch in die eigene einfließt. „Das wird großen Stress verursachen“, prognostiziert Kühnreich. Und es stellen sich weitere Fragen: Was passiert, wenn man ständig bewertet wird? Wie verändert sich das eigene Verhalten? Mit Blick auf die Zukunft: Regierungen kommen und gehen. Was aber ist in einigen Jahren? Was passiert, wenn andere Regierungen sich die Daten beschaffen?

Deshalb fordert die Politologin zum Abschluss ihres Vortrages: „Wir alle machen Fehler. Aber wir müssen die Freiheit haben, Fehler zu machen. Auch künftige Generationen müssen die Chance haben, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.“
Im Anschluss an den Vortrag gab es Gelegenheit zur Diskussion sowie die Möglichkeit zu einem gemeinsamen Frühstück und Networking mit der Referentin und den Teilnehmern.
Partner des Breakfast Clubs im Neuen Rathaus in München war das Referat für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt München. In Nürnberg fand die Veranstaltung im Schönen Saal des Alten Rathaus statt. Partner des Chinaforum Breakfast Clubs in Nürnberg waren das Wirtschaftsreferat der Stadt Nürnberg sowie die IHK Nürnberg.

Autorin: Sigrid Eck