Welche Entwicklung nimmt China wirtschaftlich und politisch? Und wie ist das Jahr 2019 zu bewerten – auch im Hinblick auf 2020? Auf diese Fragen gab Prof. Dr. Markus Taube, Inhaber des Lehrstuhls für Ostasienwirtschaft/China an der Mercator School of Management und Direktor der IN-EAST School of Advanced Studies an der Universität Duisburg-Essen auf Einladung des Chinaforum Bayern e.V. eine umfassende Einordnung.

Beim Breakfast Club mit dem Titel „China 2019 – ein Jahresrückblick“ im Bayerischen Wirtschaftsministerium analysierte der renommierte China-Experte die vergangenen zwölf Monate. Der Handelskonflikt mit den USA und Künstliche Intelligenz waren für ihn die „großen Linien“, die das Geschehen bestimmten. Deshalb sei es auch nicht möglich, Konjunkturprognosen zu geben. Für ihn habe sich China auf vier Ebenen entkoppelt: Ökonomisch, technisch, kulturell und geopolitisch.

Ökonomisch: Bedingt durch den Strukturwandel hat China das schwächste Wachstum seit 30 Jahren. Die erwerbstätige Bevölkerung schrumpft, die Produktivität stagniert. So ist der Dienstleistungssektor zwar gewachsen, aber nicht relevanter geworden. Hier würde sich die Digitalisierung niederschlagen. Zudem verfügen kleinere Unternehmen oftmals über eine zu geringe Kapitaldecke. Im Falle eines exogenen Schocks besteht die Gefahr, dass diese nicht mehr zahlungsfähig sind. Dieses Problem habe man laut Taube erkannt und bereits Schutzmaßnahmen getroffen. Man ist vorsichtiger mit Investitionen im Ausland und will von grenzüberschreitenden Lieferketten unabhängiger werden. Die Produktivität soll im eigenen Land bleiben.

Zudem liegt ein fiskalisches Konjunkturbelebungsprogramm in den Schubladen. Sollte die Konjunktur schwächer werden, würde dieses zum Einsatz kommen. Auch das neu eingeführte Börsensegment „STAR Market“ an der Shanghai Stock Exchange sei eine Vorbereitung für eine mögliche Eskalation. Sollten chinesische Unternehmen Amerikas NASDAQ verlassen (müssen), würden sie hier aufgefangen.

Technisch: Die KP hat einen klaren Herrschaftsanspruch in allen Bereichen formuliert. Dies wird mit Künstlicher Intelligenz (KI) kombiniert. Social Scoring sei beispielsweise eine Konsequenz dessen. Daten werden problemlos ununterbrochen gesammelt. Junge Leuten seien, sagt Taube „völlig von ihrem Smartphone absorbiert“. Ohne ein Mobiltelefon und WeChat könne man am sozialen Leben nicht mehr teilnehmen. Diese Nutzung sorge für einen kontinuierlichen qualitativ hochwertigen Datenstrom – der wiederum ausgewertet wird. Künstliche Intelligenz spielt auch und gerade beim Militär eine große Rolle. Statt auf eine große personalstarke Armee setzt China inzwischen auf High-Tech.

Kulturell: Die Indoktrinierung wird stärker. Der Nationalstolz werde bei großen Ereignissen wie der Mondlandung auf der erdabgewandten Seite gesteigert. Die Botschaft lautet: „Wir können stolz auf unser Land sein. Wir schaffen, was die Amerikaner nicht geschafft haben.“ Und was das Alltagsleben anbelangt: Junge Menschen wenden sich von US-Produkten ab. Sie entscheiden sich zunehmend für inländische Produkte.

Geopolitisch: Im sechsten Jahr würde die Belt and Road Initiative „grundsätzlich funktionieren“. Der „Proof of Concept“ sei geglückt. Es sei richtig, Wachstumsimpulse in Länder wie Weißrussland oder Kasachstan zu tragen. Jedoch warnt der China-Kenner: Europa muss dafür sorgen, den entstandenen Sonderwirtschaftszonen etwas entgegenzusetzen. Ansonsten orientieren sich diese Länder in Zukunft eher nach China als nach Europa.

Außerdem, und das betonte er eindringlich: Europa muss seine Kommunikation verbessern. Taube erklärte, die chinesische und europäische Entwicklungsarbeit sei nahezu gleichwertig. In der Bevölkerungsmehrheit wird dies aber nicht kommuniziert und stattdessen würde China die Initiativen oft für sich zunutze machen. Diese Entwicklung nannte er „haarsträubend“.

Ausblick: Beim Handelskonflikt „kommt noch einiges auf uns zu“, warnte Taube. Das Endspiel von USA und China um die hegemonielle Vorherrschaft habe begonnen. Der Streit habe auch Auswirkungen auf Europa. Europa stehe zwar nicht im direkten Konflikt mit China, analysiert Taube, aber die „Secondary Sanctions“ bereiten ihm „am meisten Sorgen.“ Also die Haltung „Nur wer mit China kooperiert, ist auf der richtigen Seite.“ Hier gebe es Instrumente, die Unternehmen „gefügig“ machen können. Deshalb sei ein schwelender Handelskrieg „nicht das schlechteste für Europa“. Bei allen Entwicklungen sei eines immer wichtig: Europa muss gegenüber China mit einer Stimme sprechen.
Die Haltung Europas war auch Thema in der anschließenden Diskussion, die Stefan Geiger, Geschäftsführer des Chinaforum Bayern e.V., leitete. Nach zwei Stunden herrschte Einigkeit unter den Teilnehmern: Das anstehende Jahr der Ratte hält eine Vielzahl von Veränderungen bereit.

Chinaforum Breakfast Club am 17.12.2019: „China 2019 – ein Jahresrückblick“

Autorin: Sigrid Eck

BR Artikel: China-Experte Taube: Handelskonflikt ist gut für Europa“