Um die politischen und sozialen Hintergründe der aktuellen Protestbewegung in Hong Kong sowie deren Auswirkungen auf das Verhältnis zur Regierung in Beijing und das „Ein Land, zwei Systeme“ Prinzip zu verstehen, lud das Chinaforum Bayern e.V. Dr. Wing-Hin Chung, Head of Investment Promotion bei InvestHK, als Referent zum Breakfast Club in München am 30. September ein. Der Titel seines Vortrags: „Hong Kong – Ein Land, zwei Systeme?“

Stefan Geiger, Geschäftsführer Chinaforum Bayern e.V., eröffnete die Veranstaltung mit einer kurzen Begrüßung: „Im Chinaforum Bayern greifen wir seit 15 Jahren strittige Themen auf. Unser Ziel ist es immer, ausgewogen und neutral zu berichten. Wir sind überzeugt: Nur der offene Dialog bringt die Situation voran.“

In seinem Vortrag beleuchtete Dr. Wing-Hin Chung drei Aspekte der aktuellen Situation in Hong Kong: Den Auslöser der Demonstrationen, die tieferliegenden Ursachen sowie die Auswirkungen für deutsche Unternehmer.

Auslöser war ein Mordfall auf Taiwan Anfang dieses Jahres. Der junge Mann, der seine Freundin ermordet hatte, floh nach Hong Kong, das kein Auslieferungsabkommen mit Taiwan hat. Die Familie des ermordeten Mädchens wandte sich verzweifelt an die Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam. Die Konsequenz: Der Vorschlag eines Auslieferungsabkommen, der Taiwan als auch aus China umfassen sollte. Dieser sollte durch das Parlament verabschiedet werden und damit eine Rechtsgrundlage schaffen.

Allerdings folgten Proteste von Verbänden, Geschäftsleuten und ausländischen Handelskammern. Anfang Juni kam es zum ersten friedlichen Protest der breiten Bevölkerung, der bereits in der zweiten Juniwoche schon zwei Millionen Menschen mobilisierte. Der Entwurf wurde zurückgezogen, doch die Proteste hielten an und wurden teilweise gewalttätig.

Es stellt sich für Außenstehende die Frage: Warum sind die Bürger so wütend? Dr. Wing-Hin Chung nannte als Ursachen unter anderem den stärkeren Einfluss Chinas, niedrige Löhne, enorme Wohnungsnot und exorbitante Immobilienpreise. Hong Kong hat die höchsten Immobilienpreis der Welt. Im Schnitt haben die Hongkonger 16 Quadratmeter zur Verfügung. Zum Vergleich: In Singapur sind es 32 qm2, in Deutschland 45qm2. Eine 50qm2 große Wohnung kostet umgerechnet eine Million Euro – und wird durchschnittlich von vier Personen bewohnt. Dieser Wohnungsmangel führt dazu, dass junge Menschen nicht von zu Hause ausziehen können.

Hintergrund ist, neben der geographischen Situation, die Handhabung von Immobilien in Hong Kong: Nur die Regierung darf Bauland verkaufen. Sie verkauft grundsätzlich an den Meistbietenden, da die Einnahmen daraus an den Staat gehen. Auf diese Weise kann der Steuersatz niedrig gehalten werden. Dieser wiederum trägt zur Attraktivität des Standortes für ausländische Firmen bei.

Drei politische Entwicklungen verschärften die Immobilienlage, erläuterte Dr. Wing-Hin Chung: Die Asien-Finanzkrise 1998, die SARS-Krise 2003 und die Lehmann-Pleite mit der anschließenden weltweiten Finanzkrise 2008. Dies alles führte dazu, dass die vier Familien, in deren Besitz der überwiegende Teil der Immobilien in Hong Kong ist, noch mehr Bauland erwerben konnten. Deshalb wohnen nur wenig Hongkonger in staatlich geförderten Wohnungen. Darüber hinaus wird der Unterschied zwischen Arm und Reich immer größer.
Die Regierung habe das Problem zwar erkannt, bislang aber nicht energisch genug an einer Lösung gearbeitet.

In Hinblick auf die politische Situation betonte Dr. Wing-Hin Chung: „Es gibt in Hong Kong weiterhin freie Presse, freie Meinungsäußerung, freies Internet und Reisefreiheit. Es gibt nur eine rote Linie: Keine Forderung der Trennung Hong Kongs von China.“

„Was ändert sich für deutsche Unternehmer?“ war an diesem Vormittag eine der Fragen, die im Raum standen. „Für Geschäftspartner nichts“, bestätigt Dr. Wing-Hin Chung. „Alle Rechte sind garantiert, institutionell ist alles unverändert.“ Hong Kong habe weiterhin einen überragenden Stellenwert für China. Zwei Drittel der Investitionen, die nach China fließen, fließen über Hong Kong.

Die wichtigsten Aufgaben der Regierung seien jetzt: Rasch mehr Wohnungen zu schaffen und so das Vertrauen der Mittelschicht wiederherzustellen. Zudem wäre eine Dialogplattform wünschenswert sowie mehr politische Reformen auf den Weg zu bringen. Und die Gewalt müsse auf beiden Seiten ein Ende haben.

„Wir werden sehen, wie die Ergebnisse der Kommunalwahlen 2019 ausfallen“, schloss Dr. Wing-Hin Chung seinen Vortrag. „Was man heute schon sagen kann: Ein Land, zwei System funktioniert sehr gut.“ Auf die Frage von Geschäftsführer Stefan Geiger, ob und wann ein Ende der Proteste in Sicht sei, antwortete der Experte: „Am 10. Oktober wird ein neues Regierungsprogramm verkündet. Ich bin mir sicher, wenn sich die Mittelschicht dort wiederfindet, wird die Gewalt vorbei sein.“

Chinaforum Breakfast Club am 30.09.2019: „Hong Kong – Ein Land, zwei Systeme?“

Autorin: Sigrid Eck