Deutschlands Bild von China wird zunehmend schlechter. Das Verhältnis von Deutschland zu China hat einen Wendepunkt erreicht und steht derzeit auf dem Prüfstand: „Das Problem sind nicht die Falken, das Problem sind die enttäuschten Tauben, also diejenigen, die sich eine andere Politik von Staatspräsident Xi Jinping erwartet haben“, leitete Stefan Geiger, Geschäftsführer des Chinaforum Bayern e.V., die Webdiskussion „Zwischen Falken und Tauben – Deutschlands Chinapolitik auf dem Prüfstand“ ein.

Im Mittelpunkt der 90-minütigen Veranstaltung standen die Fragen: Welche Auswirkungen haben die aktuellen Entwicklungen in China auf die deutsch-chinesischen Beziehungen? Und wie könnten zukünftige Handlungsstrategien im Umgang mit China aussehen?

Für einen kritisch-realistischen und konstruktiven Umgang mit der Volksrepublik China sprachen sich Patrick Heid, Rechtsanwalt und Partner bei GvW Graf von Westphalen, und Christian Sommer, CEO & Chairman des German Centre Shanghai, aus. Beide leben seit zwei Jahrzehnten in China und betrachten die Situation fundiert und differenziert.

„Wenn man in Deutschland über China spricht, fühlen sich viele nicht wohl dabei“, stellte Patrick Heid fest. Denn bislang beruhte die deutsche Sicht auf China auf drei Thesen:

1. China ist ein guter Ort für unsere Investitionen.
2. Wenn wir leise sind, lässt China uns mitspielen.
3. Wenn wir nicht leise sind und bestimmte Entwicklungen kritisieren, wird die Tür geschlossen.

Allen drei Thesen widersprach der China-Experte. Was die Wirtschaft und damit die erste These anbelangt, habe sich in der Breite keine weitere Öffnung ergeben – im Gegenteil. „Das Land verschließt sich wieder“, konstatierte Heid. Hinzu kämen neue Gesetze und Verordnungen wie das Social Credit System. „Doch je moderner die Gesetze werden, desto unbestimmter werden sie. Man weiß nicht, welche Pflichten damit verbunden sind.“ Man könne aber auch nicht einfach bei der Behörde nachfragen – denn die Behörde gibt es in manchen Fällen noch gar nicht. Zudem sei die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, in China wenig ausgeprägt. Das führe dazu, dass keine Auskünfte erteilt werden, aus Angst, Fehler zu machen.

Darum werden die Verwaltungswege länger. Dauerte es vor zehn Jahren nur 4-6 Wochen, um ein Unternehmen zu gründen, sind es heute 3-4 Monate. Unternehmen müssen sich zunehmend die Frage stellen: Stelle ich neue Mitarbeiter ein, um die Regularien einzuhalten oder gehe ich das Risiko ein, abgestraft zu werden? Die Summe dieser Faktoren führe dazu, dass es schwieriger werde, ein Unternehmen zu führen.

Die These 2 lässt sich ebenfalls widerlegen, sagt Heid. China kommuniziert selbstbewusst, das Verhalten kann als intolerant und aggressiv beschrieben werden. Heid: „In Deutschland haben wir immer Sorge, in ein Fettnäpfchen zu treten und sind zu nachsichtig. Dabei sind manche Reaktionen Chinas häufig unangemessen.“ Dazu zählten die Mercedes-Werbung auf Instagram mit einem Spruch des Dalai Lama oder die Hotelkette Marriott, die Taiwan in ihrer Kommunikation als separates Territorium aufführte.

Auch habe es Auswirkungen, wenn man als Unternehmen oder Person dem – aus Chinas Sicht – falschen Land angehört. „Wir haben es nicht mehr in der Hand, ob wir abgestraft werden oder nicht.“ Für Unternehmer entstehe dadurch ein höherer Aufwand, da man immer Krisenpläne in der Schublade haben muss.

Auf der anderen Seite lasse China nichts unversucht, um die öffentliche Wahrnehmung zu beeinflussen. Seien es Konfuzius-Institute, die ein positives Bild von China vermitteln sollen oder die Außendarstellung, wie die Corona-Pandemie bewältigt wurde.

Auch die dritte These ließ Heid nicht gelten. Die Angst, China könne jederzeit die Tür schließen, „halte ich für unzutreffend“. Verschiedene wirtschaftliche Daten belegen, wie wichtig die Umsätze ausländischer Unternehmen in China sind. Auch sei die Volksrepublik nicht in der Lage, anspruchsvolle Produkte selbst zu bauen oder mit Innovationen führend zu sein. Die einzige Weltmarke ist Huawei.

Vor allem aber: Chinesische Konsumenten sind nicht bereit, auf ausländische Marken zu verzichten. „Sie vertrauen ausländischen Marken stärker.“ Deshalb lautete sein Appell: „Wir haben einen erheblichen Wettbewerbsvorteil. China kann es sich nicht leisten, sich von uns abzukoppeln. Wir sollten die Scheu ablegen und Probleme offen ansprechen.“

Für eine kritischen Dialog, bei dem aber der Ton stimmt, plädierte auch Christian Sommer, CEO & Chairman des German Centre Shanghai. Staatspräsident Xi Jinping habe für Europa und die USA sichtbar gemacht, dass er anders wahrgenommen werden will. Aufgrund wirtschaftlicher Projekte wie der Neuen Seidenstraße ist dies möglich geworden. „Doch bis heute hat Europa keine Antwort auf das veränderte Verhalten von China gefunden.“ Das sei jedoch dringend notwendig: „Wir müssen in der Lage sein, eine gemeinsame Lösung zu finden.“ Anders sei es nicht möglich, eine gute Wirtschaft zu machen.

Sommer wandte sich entschieden gegen ein reziprokes Verhalten, das den Grundsatz „Wie du mir, so ich dir“ praktiziert. Stattdessen betonte er mehrmals die Notwendigkeit, ein Level Playing Field für den jeweiligen Rechtsraum zu schaffen. In einem Land müssen alle Unternehmen gleichbehandelt werden. Es stelle sich zunehmen die Frage: Ist die chinesische Regierung kritikfähig? Veränderungen gibt es nur, wenn ein offener, auch kontroverser, Diskurs geführt wird. Demokratische Entscheidungen seien die Grundlagen für bessere Produkte und gewährleisten dadurch eine Vorreiterrolle.

„China ist ein Spiegelbild für uns. Xi Jinping hat den Spiegel hochgehalten und uns gezeigt, wo unsere Schwächen sind“. Sommer: „Es liegt an uns, die Schwächen anzunehmen und zu korrigieren. Wir müssen uns den Herausforderungen stellen. Denn die Zukunft liegt in Europa.“ Für den CEO & Chairman des German Centre Shanghai gibt es nur eine Möglichkeit: „Wir sind in vielen Punkten nicht mehr top. Deshalb müssen wir Europa kritisieren, sonst wird es schwer.“

In der Diskussion waren sich die 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland und China einig: Das ernsthafte Bemühen, die jeweils andere Seite zu verstehen, führt zu einem Miteinander.

China@Home am 22.07.2020: „Zwischen Falken und Tauben – Deutschlands Chinapolitik auf dem Prüfstand“

Autorin: Sigrid Eck